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Lindau - Zwangsarbeiterlager

Text von Von Karl Schweizer

 

Lindau

Bundespräsident Roman Herzog hat 1996 den 27. Januar zum jährlichen deutschen Gedenktag für die Opfer des NS-Regimes erklärt. 1945 war dies nämlich der Tag, an dem das Konzentrationslager Auschwitz von der Roten Armee befreit wurde.

Auschwitz ist eines der bekanntesten Symbole für das einstige NS-Terrorsystem aus Gestapo, Gefängnissen, Konzentrations- und Zwangsarbeiterlagern. In Lindau kamen kurz nach Beginn des 2. Weltkrieges bereits zum 20. September 1939 die ersten polnischen Kriegsgefangenen zur Arbeit in der örtlichen Landwirtschaft an.

Während des Krieges mussten innerhalb des Lindauer Stadtgebietes 770 ausländische Männer, Frauen und Jugendliche als Zivilisten oder Kriegsgefangene Zwangsarbeit leisten, im gesamten Landkreis 1285, hiervon beispielsweise in der Gemeinde Bodolz 115 sowie in Schlachters 135.

In Lindau existierten folgende meist mit Stacheldraht umzäunte und bewachte Lager: Jenes der Stadt, zusammen mit der Deutschen Arbeitsfront, lag östlich von der Kamelbuckelbrücke, ein Dornier-Lager war an der Leiblach im Bereich der heutigen Autobahnbrücke errichtet worden, ein zweites südlich der Firma im Bereich der heutigen Parkplätze in Rickenbach. Gegen Regime- und Kriegsende 1945 dienten auch zwei Bodenseedampfer im Lindauer Hafen als provisorische Lager der Deutschen Reichsbahn.

Die städtische Baubewilligung für das Leiblachlager nördlich von Lindau-Zech vom Sommer 1942 hielt unter anderem penibel fest: „Die der Laiblach zugeführten Abortwasser müssen vorher eine Frischwasser-Kläranlage passiert haben. Die Instandhaltung des Zufahrtsweges von Oberhochsteg zum Lager obliegt dem Gesuchsteller…“. Im Dezember 1942 hielt das Rüstungskommando in Augsburg in seinem Wochenbericht dazu fest: „Das Lager der Firma Dornier-Werke Rickenbach an der Leiblach ist fertiggestellt und teilweise belegt.“

Neben einer stattlichen Anzahl von Bauernhöfen, auf denen diese Frauen und Männer als Ersatz für die vom NS-Regime in den Krieg geschickten deutschen Männer arbeiten mussten, profitierten die Lindauer Firmen Dornier, Wankel, Escher Wyss, Egger, Volta und Elektra sowie die Gleisbauabteilung der Reichsbahn von deren Arbeitskraft, in Schlachters die Obstverwertung Geiger.

Die in der Mehrzahl verschleppten Menschen stammten unter anderem aus der Sowjetunion, aus Polen, Jugoslawien und Frankreich. Nach dem Sturz des Mussolini-Faschismus in Italien im Herbst 1943 und der bald darauf folgenden Besetzung eines Großteils des Landes durch deutsche Truppen, kamen auch in Lindau italienische Militärinternierte hinzu, insbesonders im Lager an der Leiblach.

Über Lindaus Tagblatt, inzwischen zur Lokalausgabe des Südschwäbischen Tagblattes herunter gestuft, erteilten die Partei- und Staatsstellen des Regimes immer wieder entsprechend rassistische und hetzerische Anweisungen an die örtliche Bevölkerung, so beispielsweise in der Ausgabe vom 19. Mai 1943: „Die Kriegsverhältnisse bringen es mit sich, dass auch im Kreis Lindau gegenwärtig zahlreiche Fremdarbeiter in der Wirtschaft beschäftigt werden. Diese Fremdarbeiter sind nicht unseres Blutes und unserer Art (…). Mit den Ostarbeitern haben wir nichts gemeinsam, und Gefühlsduselei würde als Unsicherheit und Schwäche ausgelegt (…). Das schwerste Vergehen aber, was es als Sünde wider das Blut geben kann, ist der Verkehr zwischen Deutschen und Ostarbeitern (…). Auch die Treue zum Blut ist das Mark unserer Ehre: Wer das deutsche Blut besudelt, schaltet sich selbst aus der Volksgemeinschaft aus.“

Am Klosterweiher im Bereich des heutigen Golfplatzes Schönbühl wurde auf Grundlage dieser Ideologie 1944 der junge polnische Zwangsarbeiter Iwan Baczic von den Lindauer NS-Schergen erhängt, weil er sich in die Tochter eines Motzacher Bauern verliebt hatte.

Nach der Befreiung und Besetzung Lindaus am 30. April 1945 kamen die letzten dieser gepeinigten Menschen wieder frei. Die französische Besatzungsmacht hielt nun bis teilweise 1946 im Kamelbuckellager bisherige NS-Größen und einen Teil ihrer Helfershelfer aus dem ganzen Kreisgebiet fest. Bei „Einöd“ westlich vom Dorf Hergensweiler erschossen frei gekommene und inzwischen bewaffnete Zwangsarbeiter am 1. Mai 1945 den seinerseits mit einer Pistole drohenden bisherigen NSDAP-Kreisleiter Hans Vogel.

Auf dem 1950 errichteten sowjetischen Ehrenfeld des Friedrichshafener Friedhofes an der Hochstraße befinden sich unter den 453 dort beerdigten ehemaligen Zwangsarbeitern auch zehn Frauen und Männer aus der Stadt Lindau sowie neun weitere aus dem Landkreis, die das NS-Regime nicht überlebt hatten.

 

Artikel in der Schwäbischen Zeitung vom 27.01.2021

Gedenksäule Lindau (Einweihung 27.01.2021):

Die neue informative städtische Gedenksäule "NS-Zwangsarbeitende in Lindau 1939 - 1945" an der Eichwaldstraße Nr. 5 in Lindau-Reutin vom 27. Januar 2021

 

Weitere Denkorte in Lindau:

 - Gedenstele Peterskirche:

Die Gedenkstele von 1981 in der aufgelassenen Peterskirche am Oberen Schrannenplatz in Lindau.

- Gedenktafel bei Gedenkstehle Friedhof Äschach:

Die Stehle von 1950 samt Erinnerungstafel an den hingerichteten jugendlichen NS-Zwangsarbetier Iwan Bacic aus Polen von 2010 auf dem Gräberfeld P auf dem Städtischen Friedhof an der Ludwig-Kick-Straße 49, Lindau-Äschach.

 

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