Denkstaettenkuratorium NS Dokumentation Oberschwaben
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Campus Weiße Rose
29.11.2013

Mitteilung Nr. 10 - 13 des DENKStättensekretariats

 

 

Im Fokus: Biberach (Lager Lindele); Bad Wurzach (Schloss)

Sehr geehrte Mitglieder, sehr geehrte Freunde/innen unseres Denkstättenkuratoriums,

 

unser altes Mitglied Biberach und unser neues Mitglied Bad Wurzach reißen mit ihren Denkorten „Lager Lindele“ und Wurzacher Schloss die Erinnerung an einen einmaligen völkerrechtlichen Zynismus der NS-Kriegsherren auf. Die historisch wohl bemerkenswerteste Bestimmung dieser beiden Lager kann darin gesehen werden,  die im zweiten Weltkrieg internierten zivilen Bürger der britischen Kanalinseln, Frauen, Kinder und Männer, kriegs- und sicherheitsunschädlich zu verwahren. Insofern jüdische KZ-Häftlinge aus Bergen-Belsen in Wurzacher Verwahrung waren, war für sie auch "Menschenaustausch" vorgesehen.

 

In Oberschwaben transportierten nicht nur „graue Busse“ ihre Opfer in die Tötungsanstalt Grafeneck, starben nicht nur Zwangsarbeiter aus kriegsbesetzten  Gebieten Europas in vergleichbaren Größenordnungen, wurde nicht nur die landjüdische Kultur des nördlichen Oberschwaben vernichtet, seine Menschen vertrieben, deportiert und ermordet – in Oberschwaben wurde die Zivilbevölkerung der der französischen Küste vorgelagerten und von deutschen Truppen besetzten britischen Kanalinseln kollektiv in Geiselhaft genommen und – möglichst weit vom heimatlichen Meer entfernt- in süddeutscher und gebirgsnaher Landschaft „geborgen“ und sichergestellt.

 

In unsere Homepage, unser Ergänzungsheft und unsere Erinnerungswege werden diese beiden neuen Denkorte im Rang des Großen Erinnerungsweges Oberschwaben aufgenommen werden. Als „Vorankündigung“ dazu fügen wir die für den Denkort Wurzacher Schloss vorgesehene Textseite als Anhang dieser Mitteilung bei - ebenso die Wurzacher Textseite zu dem weiteren neuen Denkort Friedhof (am Ravensburger Erinnerungsweg) und zwei zu beiden dazugehörige  Bilder. Damit möchten wir nicht zuletzt das Engagement von Gisela Rothenhäusler zur Aufarbeitung jener merk-würdigen Ereignisse würdigen.

 

Biberach hat einen weiteren Denkort in unsere Erinnerungswege einzubringen. Sein „Russenfriedhof“ an der Memmingerstr. gehört – zusammen mit dem Hauptfriedhof in Friedrichshafen, vor allem seinem sowjetischen Ehrenfeld – zu den bedeutendsten Gräbergedenkstätten für Zwangsarbeiter/Kriegsgefangene in Oberschwaben. Dass er so  würdig angelegt werden konnte, ist vor allem dem Einsatz der Pax Christi Gemeinschaft und der künstlerischen Konzeption von Ottl Aicher zu verdanken.

 

Herzlich Ihr/Euer

Prof. Dr. Wolfgang Marcus

(für das Denkstättensekretariat)

 

 

 

Anhang:

Zwei Textseiten für Bad Wurzach im Ergänzungsheft mit dazugehörigen Bildern (siehe unten)

Zwei Zeitungsartikel:

o   Buchauer Gedenken an die Reichspogromnacht

o   Ravensburger Gedenken an NS-Raubzug der „Arisierungen“

 

 

Denkort am Großen Erinnerungsweg Oberschwaben
Bad Wurzach – Wurzacher Schloss

 

Das von der Ordensgemeinschaft der Salvatorianer geführte Salvatorkolleg im Wurzacher Schloss musste auf Druck der NS-Behörden schließen. Das Schloss wurde ab 1940 an die Heeresstandortverwaltung Biberach vermietet, die darin ein Kriegsgefangenenlager einrichtete. In diesem Lager mit der Bezeichnung Oflag VC, die es als drittes Offizierslager im Wehrkreis V (Württemberg) ausweist, wurden ausschließlich französische Kriegsgefangene korsischer Herkunft zusammengeführt. Dies geschah auf Bitten des noch verbündeten Italiens, das diese Kriegsgefangenengruppe in seinem Sinne beeinflussen wollte. Nach dem Scheitern dieses auch vom Oberkommando der Wehrmacht nicht gern gesehenen Projekts wurde das Oflag geschlossen und die Gefangenen in andere Lager, zum Beispiel in die Stammlager Villingen oder Ludwigsburg, überstellt. Zwei gewaltsame Todesfälle sind für diese Zeit nachweisbar.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Am 30. November 1942 wurden über 600 Zivilinternierte aus Jersey, darunter viele Familien mit kleinen Kindern, aus dem Lager Lindele (Biberach) in das Wurzacher Schloss verlegt, das nun als Internierungslager dem württembergischen Innenministerium unterstellt wurde. Diese Menschen waren auf persönlichen Befehl Hitlers als Racheakt für die Internierung deutscher Zivilisten im Iran von den britischen Kanalinseln deportiert worden. Allerdings wurden sie im Unterschied zu den Opfern in den Konzentrationslagern  nach den Regeln der Genfer Konvention wie Kriegsgefangene behandelt und genossen deshalb einen gewissen Schutz durch das Internationale Rote Kreuz und die Schutzmacht Schweiz. Elf Internierte überlebten diese Zeit nicht.

 

Im November 1944 und Ende Januar 1945 kamen insgesamt 72 jüdische Häftlinge aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen nach Wurzach. Weil sie eine doppelte Staatsangehörigkeit hatten, waren sie in einen Austausch einbezogen worden, mussten aber in Ravensburg nicht weit von der rettenden Schweiz entfernt als überzählige Personen den Austauschzug verlassen. Sie wurden aber nicht nach Bergen-Belsen zurückgebracht, sondern für weitere Austausche, die aber nicht mehr stattfanden, bereit gehalten. Ein Häftling starb kurz nach seiner Ankunft in Wurzach an den Folgen der Misshandlung und Unterernährung.

Am 28. April 1945 wurden die britischen Internierten und die jüdischen Häftlinge von einer Einheit der französischen Armee befreit. Seit 2005 erinnert eine kleine Gedenktafel an einem der Wachhäuschen des Wurzacher Schlosses an das Lager. 2012 wurde anlässlich des 70. Jahrestages der Deportation von den Kanalinseln eine von Schülern des Salvatorkollegs gestaltete Gedenktafel im Schlosshof aufgestellt.

Text: Gisela Rothenhäusler

 

 

 

Denkort am Ravensburger Erinnerungsweg
Bad Wurzach – Kriegsgräberanlage auf dem Friedhof

 

Auf dem Wurzacher Friedhof wird in einer Kriegsgräberanlage die Erinnerung an die ausländischen Opfer des Zweiten Weltkriegs wach gehalten. Elf Zivilinternierte  aus Jersey überlebten ihre Gefangenschaft im Wurzacher Schloss nicht – das jüngste Opfer war gerade einmal sechs Jahre alt – und wurden auf dem örtlichen Friedhof beigesetzt. Die Neugestaltung dieser Gräber 1968 führte zu ersten offiziellen Kontakten mit den Behörden der Kanalinsel, die allerdings erst 2002 in eine offizielle Partnerschaft mündeten. In dieser Anlage befindet sich auch das Grab eines jüdischen Häftlings aus Italien, der im Rahmen eines Austauschprozesses nach Wurzach verlegt worden war und kurz nach seiner Ankunft an den Folgen der Misshandlungen und Unterernährung verstarb. Zwei junge Polen, die als Zwangsarbeiter in Arnach gearbeitet hatten, sind ebenfalls hier beigesetzt. Sie waren am 18. April 1945 von der Gestapo verhaftet worden; ihre Leichen wurden mehrere Wochen nach Kriegsende im Wurzacher Ried gefunden.

 

 

 

 

 

 

 

Eine Gedenktafel in der Aussegnungshalle des Friedhofs erinnert darüber hinaus an einen französischen Kriegsgefangenen, der von einem deutschen Wachsoldaten erschossen worden war. Seine sterblichen Überreste wurden bald nach dem Krieg nach Frankreich umgebettet.

Text: Gisela Rothenhäusler

 

Literatur zu beiden Wurzacher Denkorten::

Gisela Rothenhäusler: Das Wurzacher Schloss 1940 bis 1945 - Ein kleines Kapitel europäischer Geschichte. Kriegsgefangene im Oflag VC, Zivilinternierte aus Jersey, jüdische Häftlinge  aus Bergen-Belsen. Lindenberg 2008.

Gisela Rothenhäusler: Reaching across the Barbed Wire. French PoWs, Internees from the Channel Islands and Jewish Prisoners from Bergen-Belsen in Schloss Wurzach.Lindenberg 2012

Thelwell, Paula: Light out of Darkness, in: Jersey Evening Post 25. 7. 2002

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