Denkstaettenkuratorium NS Dokumentation Oberschwaben
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Campus Weiße Rose
04.04.2014

Mitteilung Nr. 05 - 14 des DENKStättensekretariats

Im Fokus: Die Diakonie Pfingstweid (Tettnang); das Sinti/Roma-Gedenken in St. Jodok

 

Sehr geehrte Mitglieder, sehr geehrte Freunde/innen unseres Denkstättenkuratoriums,

 

am 12.März 2014 war es 71 Jahre her, dass eine letzte „Verlegung“ von fünf Personen aus der PFINGSTWEID (Tettnang) stattgefunden hatte. Einer dieser fünf Menschen starb bereits in der Zwischenstation Weinsberg , drei wurden in der Tötungsanstalt Hadamar ermordet, einer – der Jude Paul Israel Levi - war nicht gewürdigt zusammen mit „arischen“ Behinderten umgebracht zu werden: er wurde in Auschwitz ermordet. Zuvor hatten bereits zwei Graue-Busse-Transporte stattgefunden. Insgesamt fielen 29 Menschen aus der Pfingstweid dem NS-Mordprogramm T4 -der Euthanasie- zum Opfer. Die Pfingstweid war die erste diakonische Einrichtung in Deutschland, die diesen Mordzugriff erleiden musste. Seit Jahren wird hier dieser Opfer gedacht, werden ihre Namen im Gottesdienst verlesen, dem Vergessen entrissen.

Diesmal war die Pfingstweid-Familie – das Personal der Diakonie und die „Klienten“, als die sich Menschen, die hier Heimat gefunden haben selbstbewusst verstehen -  mit zahlreichen Freunden aus dem evangelischen Oberschwaben und aus unserem Kuratorium im Erinnern vereinigt. Der Bürgermeister der Stadt Tettnang und der katholische Pfarrer dieser Stadt ließen ihre herzliche Verbundenheit mit der Diakonie Pfingstweid erkennen.

 

Unser Kuratorium dankt der Diakonie Pfingstweid für ihren Dienst an ihren „Klienten“.

 

Das Archiv der Diakonie Pfingstweid ist einsehenswert. Wer es besuchen will melde sich bitte bei Archivar Fritz Mäser an (Tel.: 07542/970149 oder fritz.maeser@pfingstweid.de).

Eine Kostbarkeit dürfen wir hier veröffentlichen: ein Schreiben Naphtali Berlingers, des Kantors, Lehrers und Vorstehers der jüdischen Gemeinde Buttenhausen (der dann selber im KZ Theresienstadt umgebracht wurde) an die Leitung der Pfingstweid in Sachen Paul (Israel) Levi. Berlinger setzt sich für sein Gemeindemitglied Levi ein, er bittet den Verwalter der Christlichen Pfingstweide seinen jüdischen Bruder aufzunehmen. Der Brief ist von großer enthüllender Intensität, verdient gründliches Lesen und den Bezug auf Dietrich Bonhöffers Ausspruch:“ Wer nicht für die Juden schreit, darf nicht Gregorianik singen“. Paul Levi wurde in der Pfingstweid aufgenommen.

Die deutsche Mehrheitsgesellschaft hat weithin keine alltägliche Begegnungsmöglichkeit mehr mit der Minderheit der deutschen SINTI und ROMA, die seit Jahrhunderten unter ihr lebt. Dass der Holocaust etwa 6 Millionen jüdische Opfer gefordert hat, ist in deutsches Bewusstsein allmählich eingegangen. Dass der NS-Rassenwahn im vorübergehenden europäischen Machtbereich Hitlers auch 500.000 Roma und Sinti zu Mordopfern machte, ist bis heute weithin unbekannt und verdrängt. Roma und Sinti nennen diese Katastrophe in ihrer Romanes-Sprache PORAIMOS (zu deutsch: die „Verschlingung“).

In Oberschwaben dürfen wir noch Sinti-Familien unter uns haben: obgleich hier ihr Aderlass besonders schmerzlich war. In der kath. Pfarrkirche St. Jodok in Ravensburg wird seit Jahren der Deportation von 35 Sinti aus dem hiesigen Ummenwinkel in das Vernichtungslager Auschwitz gedacht: 29 von ihnen wurden dort ermordet, nur sechs überlebten. Am 16. März 2014 kamen etwa 200 Menschen - darunter dreizehn Sinti aus dem Ummenwinkel - zu einer Gedächtnismesse in der Jodokskirche zusammen.

 

Angehörige Frauen lasen aus Tagebucherinnerungen einer Überlebenden. Angehörige Männer der Guttenberger-Familie erinnerten musikalisch an die Opfer. 29 Kerzen wurden im Gottesdienst entzündet und anschließend am Denkmal außerhalb der Kirche aufgestellt.

In den Gesprächen beteiligter Vertreter der betroffenen Sinti, von Stadt und Kirche, unseres Kuratoriums und eines landesweiten Arbeitskreises nach der Gedenkfeier wurde der Wunsch laut,über das alljährliche würdige und eindrucksvolle liturgische Gedenken in St. Jodok hinaus das den Roma und Sinti Oberschwabens, Deutschlands und Europas von den europäischen Mehrheitsgesellschaften bereitete Geschick und zugefügte Unrecht wahrzunehmen, kundzutun und überwinden zu helfen. Der 8. April, der Welt-Roma-Tag könnte in Ravensburg ein 1. Anstoß hierfür sein. Der landesweite Arbeitskreis will sich am 19. Mai d, J. dazu in Ravensburg treffen und beraten. Unser Kuratorium wird daran mitwirken.

Zur Vorbereitung versenden wir hier einige  Informationen.

 

Ihr/Euer

 

Prof. Dr. Wolfgang Marcus

(für das Denkstättensekretariat)

 

Anlagen:

· Brief Buttenhausen  - Levi

· Artikel „Pfingstweid erinnert an dunkle Zeit“, SZ 13.03.2014

. Pressemitteilung zum Internationalen Tag der Sinti und Roma 8. April

· Roma Flagge und Hymne

· Schreiben: „Jung, aktiv, Roma-Generation 2.0, Berlin, 8.4.2014“

· Einladung „Gedächtnisausstellung Roma und Sinti“

· Schirmherransprache Prof. Dr. Marcus

DENKStättenkuratorium
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