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Bad Waldsee - Das Franzosenkreuz von Waldsee-Urbach

Erinnerung an Widerstand, Gewalt und brutalen Mord

Hier der Artikel zum Bericht im Magazin "Oberland"

Wer den Friedhof in Molpertshaus betritt, dem fällt ein großes schmiedeisernes Kreuz an der Friedhofsmauer auf. Wenige Besucher wissen um seine Geschichte. Ältere Einheimische berichten:  Am Montag, 23. April 1945, wurden an der Bahnunterführung bei Unterurbach, links des Urbachs, zwei Franzosen von deutschen Uniformierten ermordet. Die Toten wurden zunächst liegen gelassen, sind aber noch vor dem Einmarsch der Franzosen an Ort und Stelle begraben worden. Die Gemeinde Urbach errichtete an der Stelle des Verbrechens ein schmiedeisernes Kreuz. Im Jahr 1958, wegen des Baues des Viaduktes, bekam das Kreuz einen neuen Standort im Friedhof von Molpertshaus.

Die Hintergründe:

April 1945: In den letzten Tagen vor der Besetzung von Waldsee wurden zu Nachtzeit mehrere Transporte von KZ –Gefangenen durch Waldsee geführt. Die SS-Bewachung trieb die Häftlinge zu Fuß Richtung Haisterkirch-Urbach. Eine Gruppe der Gefangenen (etwa 30 Mann) wurde auf einen Lastwagen mit Anhänger geladen. Im Wald zwischen Waldsee und Haisterkirch musste das Fahrzeug wegen einer Panne stehen gelassen werden. Aus Angst vor den schnell vorrückenden französischen Truppen setzte sich die dazugehörige Wachmannschaft ab. Das war am Sonntag, den 22. April, erinnert sich ein Überlebender.1

Lucien Monjoin und vier seiner Kameraden konnten fliehen und versteckten sich in „Adlers Hölzle“, einem Waldstück, nicht weit entfernt von der Bahnunterführung Unterurbach. Um die Mittagszeit des nächsten Tages beschlossen Lucien Monjoin und Auguste Bonal auf Erkundung zu gehen. Sie hatten kaum 50 Meter außerhalb des Waldes zurückgelegt, als sich ein Kübelwagen mit deutschen Offizieren näherte. Diese forderten Lucien Monjoin und August Bonal auf, zur Kontrolle ans Auto zu kommen. Als sich die beiden dem Fahrzeug näherten, eröffneten die Deutschen das Feuer. Auguste Bonal wurde tödlich getroffen. Lucien Monjoin blieb schwer verletzt liegen. Die deutschen Offiziere, vermutlich Angehörige der Kampftruppe Abele, fuhren weiter. Die Schüsse hatten Einwohner des nahegelegenen Dorfes alarmiert. Nach Aussagen von Einheimischen und Mithäftlingen erschoss ein Angehöriger des Werwolfs den schwer verletzten Lucien Monjoin.2

 

Wer waren Auguste Bonal und Lucien Monjoin, die am 23. April 1945 bei Waldsee ermordet wurden?

Auguste Bonal, am 7. Februar 1998 in Sèvers im Département Haute-de-Seine geboren,  wird einer der Direktoren der Peugeot-Werke in Socheaux und Sport-Direktor des Fußballclubs Socheaux - Montbeliard.

Nach der Besetzung Frankreichs schließt er sich dem britischen Geheimdienst S.O.E an. Sein Tarnname ist „Tobus“. Er gehört zum Agentennetz „Buckmaster“3, das den Vormarsch der Alliierten nach der Landung in der Normandie vorbereitet. Bei Peugeot organisiert Auguste Bonal den internen Widerstand. Seine Gruppe sorgt für Verzögerungen bei Bestellungen und sabotiert die Pressen, mit denen die Aussenhüllen für die V 1 Raketen hergestellt werden sollen. Ferdinand Porsche, der als NS Rüstungskoordinator in Frankreich eingesetzt ist, entdeckt die Hintergründe für die gestörte Produktion,  telefonierte mit Hitler und erwirkt die Vollmacht, alle Direktoren des Peugeot-Werks von Sochaux verhaften und deportieren zu lassen. Um aber die Rüstungslieferungen aus Sochaux nicht zu gefährden, muss sich Ferdinand Porsche darauf beschränken, nur an Auguste Bonal ein Exempel zu statuieren. Nach brutalen Verhören im Gestapogefängnis in Dijon, wird Auguste Bonal 23. August 1944 als NN-Häftling (Rückkehr unerwünscht) ins Konzentrationslager Natzweiler und von dort aus in das Außenlager Schömberg überstellt.4  

Lucien Monjoin wird am 7. Juni 1921 in Villers–les-Ormes, im Département 36-Indre geboren. Er schließt sich schon früh dem französischen Widerstand an, wird Leutnant der französischen Streitkräfte des Inneren FFI und läßt sich vom britischen Geheimdienst SOE (Special Operations Executive) anwerben. In der Region Haute-Savoie baut er ein Netzwerk für den SOE auf. vgl.4

Ende 1941 gründen Robert Boyer (Deckname „Bob“) und André Girard das Netzwerk „Carte“. Zu den verantwortlichen Persönlichkeiten des Netzwerks gehören Lucien Monjoin, Lucien Mesnard (Offizier in britischen Diensten) und Dr. Robert Morel. Sie überzeugen viele Männer, sich dem Widerstand anzuschließen, Maquisards zu werden, schulen sie für Sabotageakte, bauen ein Netz von Funkstationen auf. Sie organisieren den Rücktransport abgeschossener alliierter Flugzeugbesatzungen nach England. vgl. 3

Lucien Monjoin und Dr. Robert Morel arbeiten Hand in Hand und schaffen Verbindungen zu anderen Résistance-Gruppen im Jura und in Paris. Als das Netzwerk „Carte“ 1942 aufgerieben wird, schließen sie sich den „Orphelins“ an, gegründet von Freddy und Gabrielle Mayor, die im Jura aktiv sind. Diese Widerstandsbewegung leitet ihren Namen von einem Anwesen ab, das ihnen als Stützpunkt dient. Es handelt sich um das Lager der Käserei Graff in Dôle.

Zum Netzwerk der „Orphelins“ gehören mehrere Gruppen von Maquisards. Lucien Monjoin und Dr. Robert Morel werden „chef du groupe“, Leiter der Gruppe der Region Dôle-Poligny. Eine der wirkungsvollsten Aktionen von Monjoin, Morel und Mayor ist am 23. Mai 1944 die Unterbrechung des Rhône-Kanals bei Solvay. Die dortige Chemiefabrik (Chlorherstellung) wird völlig von Rohstofflieferungen und von der Wasserzufuhr abgeschnitten. Sie muss den Betrieb bis zum Kriegsende einstellen.5

Die „Orphelins“ und ihre Mitstreiter leistet 1944 wichtige Hilfe beim Vormarsch der alliierten Truppen nach der Landung in der Normandie. Sie stehen in enger Verbindung mit London, erkunden Gelände für Fallschirmabwürfe, bergen und transportieren 120 Tonnen Waffen, sie retten 9 Fallschirmspringer, verüben 16 Anschläge auf Bahnlinien, sprengen Brücken, zerstören Telefonleitungen. Es ist hervorzuheben, dass sie dabei darauf achten, dass Menschen nicht zu Schaden kommen. Für eine Großaktion am 23. Juni 1944, Deckname „opération sénégalaise“6, mobilisieren die „Orphelins“ über 500 Mitglieder des Widerstands, die in einer einzigen Nacht die Materialien einer großen Anzahl von Fallschirmabwürfen bergen.

Nach der Operation vom 23. Juni 1944 muss ein Funkgerät zu einem anderen Standort gebracht werden. Ein junger, noch unerfahrener Maquisard transportiert das Gerät (getarnt in einem Koffer) auf dem Fahrrad. Er fällt einer deutschen Patrouille auf, die ihn verhaftet. Beim Verhör verrät er nichts, er hat aber eine Zeichnung mit dem Hinweis auf das Versteck der „Orphelins“ dabei.- Am 26. Juni treffen sich die Führungskräfte der „Orphelins“, um eine neue Aktion zu planen. Lucien Monjoin und die anderen sitzen beim Essen, als deutsche Fahrzeuge auf den Hof fahren. Gabrielle Mayor bemerkt sie als Erste und kann die Kameraden warnen. Sie verstecken sich im Zwischenboden des Dachgeschosses, nur Freddy Mayor flüchtet in das Käselager im Keller und kann später entkommen. Gabrielle versucht noch Spuren zu verwischen, vernichtet Papiere, zerstört ein Funkgerät, aber auf dem Tisch bleiben Gedecke mit kaum berührten Speisen stehen. Die Deutschen sind nervös und wissen noch nicht genau, was sie suchen. Als sie die Teller sehen, ahnen sie, dass mehrere Personen in den Gebäuden des Gehöfts verborgen sein müssen. Zunächst entdecken sie keinen der „Orphelins“. Gabrielle Mayor wird über viele Stunden unter Anwendung von Folter verhört. Trotzdem schweigt sie beharrlich.- In der Nacht schaltet plötzlich eine Pumpe ein, die das Wasserreservoir des Anwesens auffüllt. Ein deutscher Soldat, der im Obergeschoss Wache hält, erschrickt und schießt in die Decke des Raumes. Blut dringt heraus. Ein anderer Soldat wirft daraufhin eine Handgranate. Die Orphelins stürmen heraus, um sich vor der Explosion zu retten. Die Deutschen stürzen sich auf sie und misshandeln sie schwer. Josef Marie Gonzague de Saint-Geniès („Lucien“) tötet sich selbst mit einer Zyankalikapsel, die er bei sich hat. Seine Leiche fesseln die deutschen Soldaten mit Handschellen an einen seiner Kameraden. Die Gefangenen werden nach Dijon ins Gestapogefängnis gebracht und bei Verhören während vieler Tage und Nächte schwer gefoltert.vgl. 5

Am 23. August 1944 erreichen alliierte Truppen die Umgebung von Dijon. Die Gestapo überführt deshalb am 23. August 1944 die Gefangenen ins Konzentrationslager Natzweiler im Elsaß. Gabrielle Mayor wird von dort aus ins KL Ravensbrück deportiert. Sie überlebt und hält später die Erinnerung an die „Orphelins“ wach. Ebenso wie ihr Mann, Freddy Mayor, der allen Verhaftungswellen entgeht und sich bis zum Kriegsende verbergen kann. vgl. 5

In den ersten Septembertagen 1944 beschließen die NS Verantwortlichen das Lager Natzweiler zu räumen. Lucien Monjoin und Robert Morel werden einem Transport in das Außenlager Schömberg zugeordnet. Das Lager Schömberg gehörte zum Unternehmen “Wüste“, das gegründet wurde, um aus Schiefer Öl zu gewinnen. Die Häftlinge wurden von der SS an die (DÖLF) Deutsche Ölschiefer-Forschungsgesellschaft „verliehen“. Sie mussten Schieferblöcke brechen, zerkleinern und zur Verschwelung vorbereiten. Sie waren eingesetzt zum Rohrleitungsbau und zu schweren Erdarbeiten. Im Konzentrationslager Schömberg begegnet Lucien Monjoin einem weiteren Kameraden aus dem Agentennetz „Buckmaster“, Auguste Bonal. Ende März war den Verantwortlichen der sieben „Wüste“-Lager klar, dass die französischen Truppen auf dem Vormarsch in die Region Rottweil / Balingen waren. Die Räumung der Lager wurde vorbereitet.7

 

Christophe Hornick, ein luxemburger Mithäftling von Lucien Monjoin und Auguste Bonal schreibt: „17. April 1945: Große Aufbruchsvorkehrungen im Lager. Kein Ausmarsch mehr zur Arbeit, aber Vorkehrungen für das Verlassen des Lagers. Wasserleitungen und Elektrizität waren bereits abgesperrt.“ Laut Michel Ribon und anderen Überlebenden wurden die Häftlinge „Am 17. April 1945 gegen 18.00 Uhr in Marsch gesetzt“. Die Zahlen lassen sich nicht eindeutig ermitteln. Es waren etwa 617 Mann. Die Verantwortung für die Kolonnen hatte der SS Wachmann Dittmar. Als Verpflegung erhielten die Gefangen nur einige Kartoffeln, einige Kohlrüben, eine Scheibe Brot, etwas Marmelade. Nach Aussagen von Auguste Thilbault, Michel Ribon und anderen führte die Route von Schömberg aus über Deilingen, Beuron, Messkirch, Pfullendorf, Ostrach, Altshausen, Waldsee, Haisterkirch, Treherz, Kronburg, Grönenbach, Kempten, Sulzberg, Nesselwang, Pfronten, Weißensee, Füssen, Reutte in Tirol, Plansee, Garmisch, Mittenwald bis Scharnitz.8

Lucien Monjoin und Auguste Bonal erlebten die Befreiung nicht mehr. Aus den Unterlagen des Rathauses Unterurbach bei Waldsee geht hervor, dass die zwei, am Montag 23. April 1945, an der Bahnunterführung bei Unterurbach, links des Urbachs von deutschen Uniformierten ermordeten wurden. 1948 wurden die Toten exhumiert und nach Frankreich überführt.9

Lucien Monjoin wurde in seinem Heimatort Villers-les-Ormes bestattet. Sein Name befindet sich auf dem Ehrenmal der Gemeinde. Posthum erhielt er folgende Auszeichnungen: Ritter der Ehrenlegion, das Croix de Guerre mit goldenem Stern und die Medaille de la Résistance.10

Zum Andenken an Auguste Bonal trägt das Fußballstation in Montbeliard seinen Namen.11

Am 24. April 2015 wurde in Bad Waldsee eine Gedenktafel enthüllt. Das geschah auf Anregung des Stadtarchivars Michael Barczyk. Das Denkstätten-Kuratorium-NS-Dokumentation Oberschwaben, unter Leitung von Prof. Dr. Marcus, setzte das Projekt um. Die Tafel erinnert an Lucien Monjoin und Auguste Bonal, sowie an zwei weitere Häftlinge, die auf dem Todesmarsch bei Waldsee ermordet wurden: Julius Spiegel und Karl Panhans.

Quellen und Anmerkungen:

1) Arno Huth, Das doppelte Ende des KL Natzweiler, S. 312

2) Amtsblatt der Stadt Waldsee, 12.12.2013, Nr. 45, S. 8 und vom 8. Mai 2014, Nr. 17, S. 11, sowie Robert Steegmann, Das KZ Natzweiler und seine Außenlager, Bericht von Michel Ribon, S. 172

3) Maurice Buckmaster (geboren 1902) war Nachrichtenoffizier der britischen Geheimdiensts. Im September 1941 wurde er Leiter der Frankreich-Abteilung der SOE. Die Aktion Buckmaster bereitete den Vormarsch der Alliierten Truppen nach der Landung vor.

4) A.V.A., Bulletin des Amis Du Vieil Arles, Décembre 2010, Nr. 147

5) A.V.A., Bulletin des Amis Du Vieil Arles, Mars 2011, Nr. 148

6) Großaktion am 23. Juni 1944: Deckname „opération sénégalaise“, die „Orphelins“ über 500 Mitglieder des Widerstands, die in einer einzigen Nacht Materialien einer großen Anzahl von  Fallschirmabwürfen bergen. Der Befehl zum Beginn der Aktion lautet:“ Pour Odette et Lucien, soyez prêts sous le cerisier“ (Für Odette und Lucien, seid bereit unter dem Kirschbaum). Die Größe der Aktion wird beschrieben mit dem Satz: „432 Sénégalais arriveront avec chacun trois cartouches, accompagnés par 36 officiers appongnateurs“.  “Sénégalaise“ steht für die Fallschirmabwürfe, der Begriff „officiers“ für die beteiligten Flugzeuge, die dreistellige Zahl ist ein Code für den Beginn der Aktion.

7) mémorial genweb.org und Gertrud Graf und Eugen Michelberger, Todesmärsche durch Oberschwaben, S. 8, 9

8) Gertrud Graf und Eugen Michelberger, Todesmärsche durch Oberschwaben, S. 11

9) Amtsblatt der Stadt Waldsee, 12.12.2013, Nr. 45, S. 8 und 9

10) Gertrud Graf und Eugen Michelberger, Todesmärsche durch Oberschwaben, S. 229

11) mémorial genweb.org und  Gertrud Graf und Eugen Michelberger, Todesmärsche durch Oberschwaben, S. 228

 

Gertrud Graf und Eugen Michelberger

 

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