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6 Opfer der Aktion "Gnadentod"

Standort Baienfurt Marktplatz

Konrad Geng, geb.am 24.11.1911, wohnte in der Schillerstraße 8. Im Kleinkindalter war er an Rachitis erkrankt und deshalb hör- und sprachgeschädigt. Er neigte zu Tobsuchtsanfällen. Mit 17 Jahren arbeitete der „geistesschwache“, aber körperlich starke und arbeitswillige Konrad in der Gemeindekiesgrube. 1934 wurde er zwangssterilisiert, obwohl er keine Erbkrankheit hatte. Vier Mal wurde er in die Heilanstalt Weißenau eingeliefert, das erste Mal am 12.10.1936. Immer wieder holten ihn seine Eltern nach Hause, so z.B. am 2. September 1937 – „gegen ärztlichen Rat“ und „ungeheilt“. Das letzte Mal brachte man ihn am 4.8.1938 nach Weißenau. Am 27. Mai 1940 wurde er im Rahmen der T4-Aktion in einem der berüchtigten grauen Busse zusammen mit 71 anderen Patienten aus Weißenau nach Grafeneck gebracht und dort am selben Tag vergast. Zur Vertuschung der Ermordung wurde ein falsches Todesdatum und eine natürliche Todesursache angegeben. Konrad Geng starb im Alter von 28 Jahren. Die Urne mit den sterblichen Überresten wurde der Gemeinde zur Beisetzung auf dem örtlichen Friedhof zugeschickt. Zusammen mit Konrad Geng wurde der Baienfurter Bauunternehmer Severin Fiderer in Grafeneck umgebracht. Er war 1884 in Baienfurt geboren worden und musste gleich im August 1914 in den 1. Weltkrieg einrücken. Im Oktober 1915 erlitt er einen Bauchschuss. Nach Operation und Genesung zog er wieder in den Krieg. Die Kriegserlebnisse traumatisierten ihn. Er schrieb selber: „…während meines Heimaturlaubes im März 1916 habe ich gespürt, dass etwas mit mir nicht mehr in Ordnung ist … Ich höre Stimmen … und sehe nachts Bilder“. Im April 1916 wurde Fiderer mit der Diagnose einer beginnenden Geisteskrankheit in die Heilanstalt Weißenau aufgenommen. Die Vermerke in seiner Krankenakte wurden mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus immer negativer. Severin Fiderer starb im Alter von 55 Jahren in der Gaskammer in Grafeneck. Seine im Dienst für „Volk und Vaterland“ erlittene psychische Erkrankung wurde zur Ursache für seine Ermordung. Außer Konrad Geng und Severin Fiderer wurden weitere 4 Personen aus Baienfurt in Grafeneck im Rahmen der T4-Aktion im Laufe des Jahres 1940 ermordet. Sie waren Patienten der Heilanstalt Liebenau. Die Schwestern Margarethe und Theresia Thoma hatten in der Schacherstraße 2 gewohnt. Sie wurden 1931 bzw.1935 – beide mit der Diagnose „Schizophrenie“ – in Liebenau aufgenommen. Theresia wurde in Grafeneck am 30.August 1940 im Alter von 37 Jahren, Margarethe am 24.September 1940 im Alter von 52 Jahren vergast. Am selben Tag wie Margarethe Thoma starb auch Rosina Schad, Tochter der Familie Schad, die im Wasserschloss (Papierfabrik 22) wohnte. Sie kam 1927 – auch wegen Schizophrenie – mit 25 Jahren nach Liebenau und starb im Alter von 38 Jahren. Karl Friedrich Nessler kam als jüngster der Baienfurter in Grafeneck um – am 8.11.1940 im Alter von 20 Jahren. Er hatte in der Römerstraße 42 gewohnt und war mit der Diagnose Littlesche Krankheit nach Liebenau gekommen. Insgesamt sind also 6 Baienfurter in Grafeneck ermordet worden – 6 von 10 654 kranken und behinderten Menschen, die in Grafeneck ihr Leben lassen mussten.

Tod des Kriegsgefangenen Michele Pisani

Im Jahr 1944 arbeiteten viele Italiener als Kriegsgefangene in der Eisengießerei Meteor, wo sie nicht gut behandelt wurden. Unter ihnen war auch der 25-jährige Michele Pisani. Er scheint die Arbeit nicht ausgehalten zu haben. Wegen „Auflehnung“ bekam er 14 Tage verschärften Arrest im Baienfurter Ortsarrest – wo sich heute der Fahrradunterstand der Achtalschule befindet. Dort wurde er – laut einer dürren Meldung, vermutlich des wachhabenden Soldaten oder dessen Vorgesetzten – am 19. Mai 1944 um etwa 21 Uhr 55 Minuten erschossen. Zur Begründung heißt es in der Meldung, dass er „bereits in der Nacht vom 18. zum 19. Mai 1944 einen Ausbruchsversuch aus dem Ortsarrest vorbereitet (habe), indem er mehrere Steine aus der Zwischenwand zur Nachbarzelle herausbrach“. Diese wenigen Worte lassen viele Fragen offen, weisen aber darauf hin, dass sich im Ortsarrest damals ein Drama abgespielt haben muss. Die Staatsanwaltschaft genehmigte ohne eine Leichenbesichtigung die Beerdigung. Die Wehrmacht bestattete die Leiche auf dem Friedhof in Baienfurt am 23. Mai 1944 um 5.30 Uhr morgens. Die Baienfurter Bevölkerung sollte davon wohl nichts mitbekommen.

Text: Uwe Hertrampf

 

Quellen: Krankenakten für Konrad Geng und Severin Fiderer im Bundesarchiv Berlin; Gemeinderatsprotokolle in Baienfurt 1928 – 1929; Gemeindearchiv Baienfurt Büschel 427 Literatur: Josef H. Friedel: gegen das Vergessen. Teil II: Die Euthanasieopfer. Meckenbeuren 2009 Quelle: Gemeindearchiv Baienfurt: Bü 504a

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